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Kategorie: Lektüren

fm dj :: [reading reise durch die nacht]

man wird ja nicht mehr informiert – als ex-perspektive mitglied – nun. es ist eben immer so. was der fall sein wird. aber es ist wohl nun erschienen das textprojekt zu friederike mayroeckers „reise durch die nacht“ – von ralf b. korte und elisabeth hödl (aisthesis verlag 2004): FM dj [reading reise durch die nacht“> und wir finden. es lohnt sich. die 16,80 euro einzusetzen:

Friederike Mayröckers Reise durch die Nacht reportiert nicht allein eine Zugfahrt zwischen Wien & Paris, der Text stellt auch eine Relektüre von Derridas la carte postale zur Verfügung, die die spezifischen Schreibarbeitsbedingungen der Autorin sichtbar macht. Der Versuch, dieses für zeitgenössische Literatur archetypische Spannungsverhältnis zu rekonstruieren, mündet nicht zufällig in eine literarische Form, die den fragmentarischen Charakter jeden modernen Blicks auf die Zustände der Schrift allenfalls zu dokumentieren vermag: im Austausch von e-mails konstituiert sich eine Leseerfahrung, die en passant 2 Friederike Mayröcker (fm) & Jacques Derrida (jd-dj) im besten Sinn aufhebende Schreibweisen zu generieren beginnt.

aus der verlagsbeschreibung

… ein auszug (pdf)

„dieses angst haben vor unglücken in einem solchen Nachtzug, der durch eine unbeleuchtete Gegend rast, das imaginieren möglicher katastrophen, dem das ich von fm sich überlassen hat vor dem lernerfolg der frankreichreise, jederzeit an jedem Ort Schlaf zu finden, das hat mein Körper gelernt noch vor dem Verstand, schreibt fm in das reiseprojekt beim rückblick auf aussicht zum lauten im fremden, und ein oder zwei Daunenkissen führe ich immer mit auf Reisen… wolfgang schivelbusch erwägt 1977 dass es sich lohne „über den begriffsgeschichtlichen Zusammenhang von Unfall, Krise und Neurose nachzudenken““

(auszug aus FM dj)

die re-poetisierung :: der avantgarde

Wenn dem Werk Priessnitz‘ in den „differentialen Interpretationen“ unterstellt wird, in kritischer Absetzbewegung zur – jetzt so schlagwortartig subsumierten – Avantgarde eben deren Anliegen re-poetisiert zu haben, so hat dies auch eine entscheidende Modifikation hinsichtlich des der Avantgarde (und Neo-Avantgarde) immer wieder nachgesagten Scheiterns, Kunst in Leben zu überführen, zur Folge. Denn nicht um eine Transgression des Systems Kunst  kann es einem so universalen (und nicht auf die Thematik „Avantgarde“ einschränkbaren) dichterischen Ansatz wie dem im Werk Priessnitz‘ gehen, sondern umgekehrt um ein Aufgehen und Aufgehoben-Werden des „Kosmos“ in der Dichtung.

Monographie Priessnitz – thomas eder

wir wuerden ja meinen. dass sich priessnitz gegen diesen ansatz einer re-poetisierung wehren wuerde. die repoetisierung des avantgarde-ansatzes hat er dezidiert in tribut an die tradition (1975) kritisiert. aber thomas eder wirds schon genauer wissen. womoeglich sehen wir nicht das „positive“ einer re-poetisierung eines avantgarde-verstehens. womoeglich.

verschenkte geschenke :: dolfin und deix

angezogen von der wirklich sehr schoenen aufmachung haben wir letztes jahr verschenkt: belgische schokolade dolfin – gefunden in der salzburger confiserie „n. maria“ in der muenzgasse (naehe getreidegasse).
nicht nehmen haben wir uns lassen. den neuen „dicken deix“ nach koeln mitzunehmen – schliesslich sind sechs jahre deix hier nicht wirklich dauerhaft praesent gewesen – von den kleinen aus oesterreich importierten woechentlichen schnipsel abgesehen.

… deix woechentlich im kabarett netz
… weitere beispiele
… die welt des manfred deix im karikaturmuseum krems (mit wallpaper zum downloaden ;-))
… good vibration – eine ausstellung im kunsthaus wien, 2000
… die welt des manfred deix – ausstellung in der caricatura frankfurt (mit umfassendem webkatalog)
… die deix-page

camera austria :: essayreihe “politische raeume – bildraeume”

in der zeitschrift „camera austria“ startet tom holert eine vierteilige essayreihe. in der er die „raeume politischen handelns als bildraeume zu theoretisieren“ versucht.

… folge eins: massenmmedien-akte. ueber visuelle programmierungen des politischen raums

… anmerkung dazu: die transformation des publikums zu einem kennerschaftlichen kollektiv von mitwissern – man koennte hier einen vergleich zu benjamins publikumsbegriff ziehen (der rezipient als tester): “das publikum ist ein examinator. doch ein zerstreuter.” (benjamin: das kunstwerk im zeitalter seiner technischen reproduzierbarkeit. in: benjamin: medienaesthetische schriften. suhrkamp)

… s.a. boris groys :: der betrachter an sich

die gegenbewegung :: zur aufloesung des kanons

Heute ist die Gegenbewegung zur Auflösung des Kanons voll im Gang. Dass Harald Schmidt in seiner Show Klassiker mit Playmobil inszenierte oder Reclam-Heftchen ans Publikum verteilte, ist nicht nur Marotte eines alternden Spaßmoderators, sondern auch Symptom eines neuen Bedürfnisses nach dem Kanonischen. Marcel Reich-Ranicki hat dieses Jahr als Herausgeber seinen großen deutschen Literatur-Kanon abgeschlossen. Was die Medienspektakel angeht, kann man in Deutschland von 2004 als dem Jahr der Kanon-Shows sprechen: Von „Unsere Besten – die größten Deutschen“ und „Unsere Besten – das große Lesen“ im ZDF bis zu unzähligen 80er- und 90er-Retro-Shows im Privatfernsehen wurde abgestimmt, aufgelistet, kanonisiert. Dabei setzte die Wahl der „besten Deutschen“ (Bismarck unter den Top Ten) eine besondere Zäsur, denn sie zeigte, dass sich Restriktionen in Sachen deutscher Geschichtserinnerung gelockert haben und einer neuen Beweglichkeit weichen, die nicht immer gleich als Revisionismus verstanden werden kann.

Jenseits von Jedem (tagesspiegel, 29.12.04)

jelinek :: der song

man moechte so beginnen: oesterreicher verstehen nichts von hip-hop (was ganz allgemein nicht stimmt) – wenn man sich den „jelinek-song“ (mp3) von roger stein (wortfront records) anhoert – stimmt es fuer diesen speziellen fall. auch wenn wir ahnen. dass es sich dabei wohl um einen volkstuemliche „song“ mit groesst moeglicher breitenwirkung handeln mag.

auch wenn wir dafuerhalten wollen. dass der versuch. die massenmediale rezeption von jelinek seit der nobelpreisbekanntgabe zu kritisieren. durchaus gewollt ist. bleibt trotzdem das manko. dass der song nur wieder massenmediale techniken wiedergibt. aber auch nicht mehr.

wir wuerden sagen. das reicht nicht. um einen abstand zwischen medienrummel und kritik zu setzen. das bleibt am stammtisch haengen. da kann jeder mitschunkeln und -schummeln. der sich irgendwie so oder auch anders betroffen fuehlt.

wir wuerden folgern. da muss noch an der kritik gefeilt werden. zur oesterreichischen hymne reicht es freilich allemal.

… aus dem interview mit der krone:
Ich wollte mit dem Song weder das Werk noch die Person Elfriede Jelinek diskutieren, sondern deren nach dem Nobelpreis nun erst recht einsetzende Vermarktung – insbesondere durch die österreichische Kulturpolitik.

… der text des jelinek-songs

ard :: sommerfrische 1920

wahrscheinlich findet es ja 90% der deutschen bevoelkerung schade. dass es heute keine so wunderbar grossen und abgelegenen landsitze mehr gibt. in denen man durch die bank bedient wird und dabei auch noch nach unten treten kann. abenteuer 1900 hat uns das ja waermstens ans herz gelegt. natuerlich haben wir alle das herz am richtigen fleck und spaehen mitunter die treppe auch mal hinunter – eh klar. passt schon.

jetzt legt die ard ein paar jahre drauf und macht die sommerfrische noch ein wenig knalliger: sommerfrischler auf einem landhaus in den 20er jahren. dabei verbinden wir die 20er wohl eher mit der grosstadt. nunja – da war es dann eher mit rausfahren auf picknick und weniger mit schon draussen sitzen auf dem permanenten-standes-picknick:

Sie können Charleston tanzen und Bubikopf tragen, Tennis spielen und Picknicken am See. Sie können in die Welt der Dienstboten eintauchen, kochen, chauffieren und die Vorbereitungen treffen für das große Fest: Eine Hochzeit auf dem Lande, mit allem Drum und Dran. (…) Bewerben Sie sich für eine Zeitreise in die 20er Jahre – als Hausherr, Sommergast, Hochzeitspaar oder als Dienstbote.

infoseite der ard (mit allen bewerbungsformularen – entscheiden sie sich noch heute ob hausherr oder chauffeur – sie haben den bewerbungsleitfaden in der hand! waehlen sie richtig!)

oesterreich :: und der heimat-begriff

oesterreicher sprechen ueber ihre geschichte immer so charmant daneben. dass man schon fast glauben moechte. sie meinen es auch so. 😉 dass geschichte – nicht nur die eigene – in oesterreich eher was fuer die intimitaet eines beichtstuhls ist. wuerden wir schon vermuten. dass die geschichtlichkeit von begriffen dann auch noch ins metaphorische fettnaepfchen befoerdert wird. ist nicht neu. aber nervt allmaelich ziemlich. wir wuerden schon lange nicht mehr von tendenz sprechen. das hat schon alltagssprachliche methode:

Der Heimat-Begriff war ja bis lange nach dem Krieg angepatzt. Heute kommt er wieder. Das hängt mit der Globalisierung zusammen. Die jetzige Devise lautet: Je regionaler desto besser. Also: Ein Buch über Niederösterreich, nein. Ein Buch über das Waldviertel, ja. Und das verkauft sich auch.

verleger christian brandstaetter im gespraech (die presse, 27.12.04)

jelinek :: FM4 doppelzimmer

wers gerne persoenlich mag. der kanns jetzt auch mit elfriede jelinek haben. elisabeth scharang fuehrt auf FM4 (livestream) ein „persoenliches“ gespraech mit ihr morgen (01.01.05 – 13-15 uhr):

Jelinek erzählt u. a. über ihre Kindheit mit einem SP-nahen Vater und einer bürgerlichen Mutter (rote Zopfschleifen zum Maiaufmarsch, weiße zum sonntäglichen Kirchgang), ihr Medizinstudium („Wahrscheinlich hatte ich ein Helfersyndrom“) und Erfahrungen mit dem Besticken von Hippiejäckchen mit Perlen und dem Schreiben aus Langeweile.elfriede jelinek im doppelzimmer (die presse, 31.12.04)

charlie holt sich den bart :: gertrud koch

Es sieht so aus, als habe Chaplin seine Signatur auf Hitler gebrannt. Die Diskrepanz zwischen einer einzelnen Person und einer totalitären Erweiterung von Macht bis zur völligen Vernichtung ist in sich grotesk. Ein Verhältnis eines Einzelnen zur Macht, das praktisch geworden war und auf viele als Träger dieser Macht angewiesen war. Will man Hitler darstellen, dann muss man sich mit dem Bild befassen, das er von sich zu geben so bemüht war; die Folgen dieses Verhältnisses sind freilich weitaus erschreckender als die Person, die sie nach eigenen Plänen eingerichtet hat. Deswegen sind alle Hitlerfilme auf die eine oder andere Weise Farcen. Ihre Qualität zeigt sich daran, ob sie wenigstens das an Hitler verstanden haben.

Charlie holt sich den Bart – gertrud koch (TAZ, 30.12.04)