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die gegenbewegung :: zur aufloesung des kanons

Heute ist die Gegenbewegung zur Auflösung des Kanons voll im Gang. Dass Harald Schmidt in seiner Show Klassiker mit Playmobil inszenierte oder Reclam-Heftchen ans Publikum verteilte, ist nicht nur Marotte eines alternden Spaßmoderators, sondern auch Symptom eines neuen Bedürfnisses nach dem Kanonischen. Marcel Reich-Ranicki hat dieses Jahr als Herausgeber seinen großen deutschen Literatur-Kanon abgeschlossen. Was die Medienspektakel angeht, kann man in Deutschland von 2004 als dem Jahr der Kanon-Shows sprechen: Von „Unsere Besten – die größten Deutschen“ und „Unsere Besten – das große Lesen“ im ZDF bis zu unzähligen 80er- und 90er-Retro-Shows im Privatfernsehen wurde abgestimmt, aufgelistet, kanonisiert. Dabei setzte die Wahl der „besten Deutschen“ (Bismarck unter den Top Ten) eine besondere Zäsur, denn sie zeigte, dass sich Restriktionen in Sachen deutscher Geschichtserinnerung gelockert haben und einer neuen Beweglichkeit weichen, die nicht immer gleich als Revisionismus verstanden werden kann.

Jenseits von Jedem (tagesspiegel, 29.12.04)

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