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Chanel: Werbung als Nouvelle Vague

Gut, man ist fasziniert, mal wieder die Musik von Georges Delarue zu hören und an Godard zu denken.

Nur die Musik von Godards Filmen katapultiert mich automatisch in etwas zurück, was Mark Terkessidis heute wohl „die Zukunft küssen“ genannt hat: man war eben so politisch wie poetisch emotionalisiert, es waren die endlichen 80er, in denen ich die ersten Godard Filme gesehen habe. Mein Lieblingsfilm von ihm noch heute – Pierrot le fou (Pierrot der Narr) mit einem gänzlich wunderbar anarchischen Belmondo. Auch wenn der Mann (Belmondo) die Theorie und die Frau (Anna Karina) die Praxis eingenommen haben. Heute favorisiere ich in einem Art postromantischen Ideal auch Godards Chinesin.

Aber was Chanel mit ihrem Werbefilm zur neuen Lippenstift Serie „Le Rouge“ (Eine umfangreiche Darstellung des How-To und Noch-Dazu zum Werbefilm von Chanel und Bettina Reims: Le Rouge Chanel, dort kann man auch den Werbefilm hochaufgelöst sehen) betreiben, lässt sich zum einen klar in Worte fassen (Andreas Kilb hat dazu in der FAZ ein gutes Fazit gezogen: „Das Runde muss ins Eckige, die Kunst gehört auf den Markt, und für Bardot findet sich zur Not ein Ersatz. Hauptsache blond.“ (Glosse Feuilleton: Die Verachtung, 28.03.07) und zum anderen macht es schmerzlich wieder darauf aufmerksam, dass auch das Widerständigste irgendwann als markentechnischer Platzhalter dient.

Man muss sich das auch wirklich auf der Zunge zergehen lassen. Da nimmt man eine Szene aus dem Godard Film „Die Verachtung„, legt komplett glatte Körper (Mann und Frau) auf ein gänzlich steril wirkendes Lakengebirge, legt die Musik von Delarue drunter, imitiert die Szene mit einer Frau, die eine Bardot von heute sein könnte (das hat nichts mehr mit dem Typ Bardot von gestern zu tun) und einen aufdringlichen phallischen Apparat, nach dem sich die Frau verzehrt, weil sie glaubt, der Mann kann sie nur verzehren, wenn sie diesen Apparat sich einverleibt. 😉

Nun dieser Apparat – der Chanel Lippenstift – hat auch noch den unsäglichen Klackvorteil, der an Zippo-Feuerzeuge oder Revolverhelden-Anhängsel erinnert. Jedenfalls suggeriert er sehr stark einen imaginären Output.

Wenn man sich dann noch Andreas Kilbs Anmerkungen zum eigentlichen Ursprung dieser Szenerie in Godards Film in Erinnerung ruft – der Produzent des Films, Joseph Levine, wollte mehr nackte Bardot-Haut, und damit Godards visuelles Bekenntnis, dass der Film – getreu nach Fuller – immer „a girl and a gun“ ist (der Ausverkauf der Ideale eben), fragt man sich bei der Imitation Chanel, was Bettina Rheims damit bezweckt haben könnte, über die bloße Vermarktung eines Lippenstifts hinaus?!

Was bei Godard noch die Repetition von Knackpunkten war, ein sich Bloßstellen im Machen, ist bei Reims ein Nachstellen einer Melancholie, die nicht mehr Klick macht, auch wenn sowohl das Piccoli-Imitat und der Lippenstift eine süße Unterwerfung suggerieren. Gerade von einer Frau – meine Güte, wie lange habe ich einen solchen Satz nicht mehr schreiben müssen – sollte man heute derartige Peinlichkeiten mit allerlei Klick und Klack (Schnick und Schnack) nicht mehr erwarten dürfen.

Nun ja, wie heute auch in der Jungle World zu lesen war in einer kleinen Buchvorstellung zu Pierre Bourdieus „Die Liebe zur Kunst“, das erst nach 40 Jahren auf den deutschen Buchmarkt kam: „Zudem kann man bezweifeln, ob der Besuch von Gemäldegalerien heute noch das große kulturelle Kapital erbringt. Wohl kaum. Aber um das herauszukriegen, bräuchte man halt jemanden wie Bourdieu.“ (Bourdieus Pisa-Studie, Jungle World 12/2007), könnte man sagen:

Zudem kann man bezweifeln, ob das Ausstellen von nackter Haut, so kunstfertig sie auch ein- und ausgesetzt wird, und das Überreichen von symbolischen Machträgern wie klackende Lippen(bekenntnis)stifte heute noch das wie auch immer geartete oder gewollte Kapital erbringen. Wohl kaum. Aber um das herauszukriegen, bräuchte man halt jemanden wie Jean Luc Godard (in jungen Jahren). Denn der alternde Großmeister der Nouvelle Vague hat diesen Mumpitz einer Kopie auch noch erlaubt, wie man bei Chanel lesen kann.

Nein – kein Hut ist hier mehr zuviel! Wirklich keiner!

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