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boris groys :: der betrachter an sich

imageein interessantes gepraech mit boris groys findet sich in der aktuellen lettre: der betrachter an sich (nur in auszuegen online).

nach groys gibt es zwei modelle der betrachtung zwischen betrachter und kunstwerk:
… das kunstwerk ist statisch und der betrachter bewegt sich (bsp. museum, buch)
… das kunstwerk bewegt sich und der betrachter ist statisch (bsp. kino, theater)

beide modelle dienen dazu. die lebenszeit von betrachter und kunstwerk zu synchronisieren. die jeweilige immobilisierung foerdert diese synchronisierung. heute wird jedoch diese synchrone beziehung zwischen kunstwerk und betrachter in frage gestellt. groys bezeichnet diesen zustand als heterosynchronizitaet.

beispiele fuer heterogene, synchrone zustaende sind etwa ein gelooptes video im museum (der betrachter hat nur die moeglichkeit. ausschnitthaft das video wahrzunehmen. haeufige aussagen von besuchern sind daher „ich habe noch nicht alles gesehen, ich kann keine abschliessende meinung haben“, aktuelles beispiel im koelner museum ludwig dispersion room von aernout mik, eine raumgreifende bueroinstallation auf video, die kein anfang und kein ende zu haben scheint) oder mehrere praesentationsebenen gleichzeitig wie etwa in der berliner volksbuehne (theaterbuehne, videowaende etc.).

groys sieht die rolle von video in der kunst** vor allem darin. den betrachter zu verunsichern. ihm ein schlechtes gewissen zu machen. der betrachter kann nicht mehr wirklich abschliessend beurteilen. was er sieht. – das kunstwerk entzieht sich dem betrachter.*

weitere stichworte (wuerden einer tiefergehenden analyse beduerfen):
… der unbekannte betrachter (quasi: das ding an sich fuer den kunstbereich; groys stellt den unbekannten betrachter dem soziologisch moeglichen (etwa im sinne von bourdieu) entgegen (wir glauben jedoch. dass die letztendliche fixierung auf einen unbekannten betrachter einen nicht davon enthebt. sich zuerst mit dem soziologisch moeglichen zu beschaeftigen – wir halten weniger von metaphysischen schneisen – auch wenn wir das andere durchaus suchen)
… der unbekannte betrachter steht in enger beziehung zum groyschen konzept des submedialen raums
… schliesslich auch nicht uninteressant: der exkurs zum ready-made – „ich bin ein ready-made in den augen des anderen“ (groys)

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* vgl. dazu walter benjamins rolle des publikums als tester. bei benjamin fallen in der beziehung von betrachter und kunstwerk (hier: der film) kritik und genuss zusammen: „das publikum ist ein examinator. doch ein zerstreuter.“ (benjamin: das kunstwerk im zeitalter seiner technischen reproduzierbarkeit. in: benjamin: medienaesthetische schriften. suhrkamp)
insofern waere die theorie der heterosynchronizitaet von groys eine weiterentwicklung von benjamins „zerstreuungs“-these.
heikler finden wir schon die anthropomorphisierung des kunstwerks: wir fragen uns. was die „lebenszeit“ eines kunstwerks sein kann und ob es sich im vergleich zur lebenszeit des betrachters um eine aehnliche lebenszeit handelt.
** groys charakterisierung des fernsehens als „real-time-medium“ (die beziehung zwischen betrachter und sendung setzt eine real-time-verbindung voraus) scheint jedoch etwas „altbacken“. die 1:1 umsetzung des realen wird doch schon lange nicht mehr als DAS kennzeichen des mediums TV gesehen.

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