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Lady Mary Montagu: Romane wie von der Gräfin d’Aunois

In Lady Mary Montagus Briefen aus Wien (Schendl Wien 1985) beschweren sich ihre Briefpartner darüber, dass sie nichts Sensationelles, Kurioses, Phantastisches und auch keinen wirklichen Klatsch berichtet.

Sie grenzt sich jedoch von diesen durchaus gängigen Wünschen ab, denn sie will „die schlichte Wahrheit sagen“ (S 74). Sie wolle auch keine Romane schreiben „wie die Gräfin d’Aunois“ (S 74). Und damit beginnt es spannend zu werden. 🙂

Denn: Lady Montagu grenzt sich hier zum einen von Madame d’Aulnoy (1650-1705) ab, indem sie nur auf deren Romane verweist, zum anderen sich jedoch auch gegen die Form, wie d’Aulnoy fiktionale Elemente in ihre Reiseberichte wie etwa in Travels to Spain eingebunden hat.

In dieser Abgrenzung kann man gut erkennen, auf welchen Stand der Rezeption von d’Aulnoy sich Montagu bezieht. Um 1711 war d’Aulnoy in England hauptsächlich als Romanautorin und Memoirenschreiberin bekannt, obwohl ihre Reiseberichte bereits einige Verbreitung hatten (s. dazu Palmer). Warum sich Lady Montagu aber besonders auch von d’Aulnoys Reiseberichten absetzen möchte, könnte mit der doch unterschiedlichen Art und Weise zu tun haben, wie d’Aulnoy an das Reisegenre rangeht.

Auch d’Aulnoy kämpft mit dem wichtigsten Problem dieses Genres, der Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit – vraisemblance. Sie will jedoch nicht nur die Wahrheit schreiben, sie will so schreiben, dass der Rezipient es für wahr halten kann. 😉 Damit versucht auch sie sich von der Kuriositäten des Genres abzugrenzen. Hester weist darauf hin, dass vraisemblance eine Art buzzword des 17. Jahrhunderts war (Hester, S 92). Dieser Begriff stammt jedoch aus der literarischen Diskussion jener Zeit, der vor allem bei historischen Stoffen ins Feld geführt und diskutiert wurde. D’Aulnoy hat, so Hester, damit das Reisegenre oder den Reisebericht zum ersten Mal mit den Mitteln der Literatur verglichen und diskutiert. (vgl. dazu Gérard Genettes Aufsatz zur vraisemblance, ich fass das jetzt mal harsch zusammen, dass der Text nur so plausibel und wahrscheinlich sein kann, wie er auch in Relation zu einem konventionellen, herrschenden Diskurs steht. Er wird umso plausibler rezipiert, je genauer er auf den Konventionen des Genres aufbaut. Zusammengefasst nach dem Zitat bei Hester, S 93)

Das interessante an d’Aunoys Reiseberichten ist auch, dass sie das Genre erweitert und literarische Elemente wie Dialoge und Portraits miteinbaut. Leider sind ihre Reiseberichte absolut vergriffen. Man kann sie jedoch in englischer àœbersetzung als PDF Version lesen: Inhaltsverzeichnis.

Literatur:
Hester, Nathalie: Travel and the Art of Telling the Truth: Marie-Catherine d’Aulnoy’s Travels to Spain, in: Huntington Library Quarterly, Vol. 70, Nr. 1 2007, S 87-102

Palmer, Melvin D.: Madame d’Aulnoy in England, in: Comparative Literature, Vol. 17, Nr. 3 1975, S 237-253

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