heimrad baecker ist letzten donnerstag verstorben (der standard war sich nicht ganz sicher. ob fast oder doch 78 jaehrig). was die schubladisierung betrifft. wird er der „konkreten poesie“ zugeordnet, war mitbegruender der grazer autorenversammlung (was heisst – er war ein nachstreiter der „wiener gruppe“) und verleger der „edition neue texte (1975)“ (vormals literaturzeitschrift „neue texte (1968)) – der „bedeutendste oesterreichische Avantgarde-Verlag der spaeten siebziger und fruehen achtziger Jahre“ lt. NZZ), der vor allem die „nachstreiter“ franz josef czernin, mayroecker, priessnitz verlegt hat.
- haupttext: „nachschrift“ (2 baende): „Baecker lud sich den obszoen ausgenuechterten Jargon der Taeter, das Vernichtungsrotwelsch der mit der so genannten „Endloesung“ befassten Planungsmoerder und Genozidbeitraeger, wie eine lebenslange Buerde auf.“ (Die Entlarvung der Todeslistenfuehrer – Standard)
- baeckers engagement fuer die sprachliche aufarbeitung des NS scheint im experimentellen kanon ueberraschung auszuloesen bzw. wird experimentelle literatur wohl immer noch und wieder mit laessigem sprachklingeln verwechselt:
# „Die Literatur wollte Baecker nie zu einer Harmonisierung des Unverstaendlichen missbraucht sehen“ (NZZ)
# „Sein souveraener Umgang mit den Moeglichkeiten der Konkreten Poesie haette ihm eine auskoemmliche Autorenkarriere fuer Experimentellen-Liebhaber ermoeglicht.“ (Standard) – hier wird karriere im experimentellen bereich an konkrete poesie gekoppelt (souveraenitaet macht’s wohl?!)) - zum peinlichsten in nachrufen sind dann folgende unter- und ausstellende resuemes zu rechnen: „Ganz gewiss hat sich der aus Ried/Innkreis stammende Baecker seine Teilhabe als HJ-Junge und „Schriftleiter in Ausbildung“ am grossen, moerderischen Ganzen nie verziehen.“ (Standard) (aehnliches findet sich in einem weiteren nachruf des standards: „als Jugendlicher selbst von der NS-Ideologie „infiziert““)
- thomas eder sieht in baecker die verbindung zwischen „formal autonomer“ und „politisch orientierter“ kunst (also: hier wieder die trennung von „reiner“ experimenteller und „politisch-experimenteller“ literatur – eine verbindung laesst sich hier zum aktuellen lyrikrevival ziehen, das vor allem den bezug der lyrik auf die deutsche geschichte fordert, s. „Die neue Unersetzlichkeit der Lyrik“ joerg drews im merkur, zit. nach „Ist die Lyrik noch poetisch?“ – lutz hagestedt)
- in die gleiche argumentative kerbe schlaegt ferdinand schmatz. baecker haette „die konkrete Poesie vom Verdacht des Apolitischen befreit“ (der verdacht erhaertet sich. dass es hierbei nicht um heimrad baecker geht. sondern um die rolle der experimentellen literatur)
- an dieser fragestellung formal/konkret schliesst sich fast uebergangslos das projekt „Konkrete Dichtung und Mimesis anhand des Werkes von Heimrad Baecker“ (kastberger/eder) des oesterreichischen literaturarchivs: nach siegfried j. schmidt schliesse sich konkrete poesie und „mimesis“ vollstaendig aus; konkrete poesie sei eine „nicht-mimetische“ kunst, die sich auf die thematisierung der kuenstlerischen mitteln konzentriere. kastberger/eder gehen aber davon aus. dass sich durch die arbeiten von baecker durchaus eine verbindung zum mimetischen herstellen lasse.
- dagmar winkler ordnet autorinnen wie gerstl, baecker, schmatz, hell, czernin als „fortsetzerinnen der wiener gruppe“ ein, als “ zerebrale Aesthetizisten„, deren „Literatur nicht mehr der post-modernen, post-traditionellen, post-sozialen, post-avantgarde, kybernetischen Aera angehoert, sondern eine ’neo-kybernetische‘ Epoche einleitet.“ (Die neo-kybernetische Literatur)
- als richtungsweisend war fuer baecker heissenbuettels „Deutschland 1944“: „Dieses „Gedicht“ bezeichnet er als „wegweisend“ fuer die Poetik der „nachschrift“, weil Heissenbuettel als erster gezeigt habe, wie „die Moerdersprache, die Tarnsprache und Sprache der ‚Vertauschung‘, durch Zitieren aufgeloest werden koenne“ (Baecker).“ (Das Archiv der Grausamkeit – wiener zeitung – dieser artikel geht ausfuehrlicher auf die „nachschrift“ baeckers ein)
- thomas eder: „ob der mann danach ist“ (benn) – holocaust sei fuer baecker nicht ein „einmaliger einbruch in die zivilisation“. sondern erst die mittel der moderne haetten wesentlich zur durchfuehrung beigetragen. (verschleierung mit mitteln der konkreten poesie „hoechste evidenz“ verschaffen) (thomas eder, rede zur ausstellung „Heimrad Baecker“, linz)
- aus dem erloes des“vorlasses“ baeckers, den das literaturarchiv der nationalbibliothek angekauft hat, wurde ein „heimrad-baecker-literaturpreis“ ausgerichtet. erste preistraeger 2003: czernin und zauner (foerderpreis) (die summen verkneifen wir uns an dieser stelle).
aber womoeglich sollte man nachrufe lieber gleich in das oesterreichische staatsarchiv bugsieren. dort werden sie dann sorgsam verwahrt und aufgehoben.