dadasophin.de

Schlagwort: Avantgarde

do it :: hans-ulrich obrist

Do it, das sich seit zwei Jahren entwickelt, ist nach wie vor eines meiner Hauptprojekte. Hier geht es um den Begriff der Handlungsanweisung. Die Handlungsanweisung in der Kunst war eigentlich immer präsent. Bereits bei Rubens ist sie implizit vorhanden. Explizit kam sie zum ersten Mal in diesem Jahrhundert bei Duchamp vor, der aus Argentinien seiner Schwester in Paris telegraphisch mitgeteilt hatte, sie solle auf einem Balkon das Ready-made Malheureux realisieren. Kurz danach hat Moholy-Nagy zum ersten Mal eine Arbeit über das Telephon verwirklicht. Im Zusammenhang mit Fluxus sind Handlungsanweisungen ebenfalls sehr wichtig, beispielsweise bei Alison Knowles, George Brecht etc. In den 70er Jahren wiederum hatte Pistoletto Anweisungen für seine „Cento Mostre“ gegeben. Im Gegensatz zu dem eingefrorenen Ready-made, wie dem Flaschentrockener von Duchamp, der heute in einer Glasvitrine im Museum steht, geht es bei do it um den fluiden Ready-made-Begriff, der auch bei Duchamp vorkommt, wie zum Beispiel: „Man nehme ein Lexikon und streiche alle Wörter, die einem mißfallen“. Das kann jeder realisieren, auch heute noch. Bei dieser Art von Ready-made bleibt alles fließend.

ein gespraech mit hans-ulrich obrist

… das projekt „do it“ im web auf e-flux
… als buchversion im revolverlag
… die tv-version im museum in progress

rezeptsammlung (TAZ, 26.02.05)

eine ablehnung des spektakels

»Es ist nicht eine Frage des Herausarbeitens eines Spektakels der Ablehnung, sondern einer Ablehnung des Spektakels. Damit ihre Herausarbeitung künstlerisch sein kann in dem neuen und authentischen Sinne, wie die SI ihn definiert, dürfen die Elemente der Zerstörung des Spektakels nicht länger Kunstwerke sein. Es gibt weder so etwas wie Situationismus oder ein situationistisches Kunstwerk noch gibt es, was das betrifft, einen Situationisten, der Spektakel erschafft.«

raoul vaneigm (1961) auf der 5. SI-konferenz

mayroecker :: konnte an der wiener gruppe nicht teilnehmen

An der Wiener Gruppe konnte ich nicht teilnehmen. Das hat sich ja alles nachts abgespielt.

die avantgarde macht wohl wirklich was falsch?! wenn sie endlich mal richtig ausschlafen wuerde. dann koennten sich auch berufstaetige frauen damit beschaeftigen. 😉

ist nur gut. dass wir mayroecker nichts verdanken – und wenn schon. dann werden uns das andere nachzuweisen versuchen. aber wir sind ja eher nachtmenschen und auch noch berufstaetig. wir sind wohl ein negativ-golem! 😉

… lobrede von michael lentz: die lebenszeilenfinderin (FAZ, 20.12.04)

ferdinand schmatz :: ein modifzierter erbe der wiener gruppe

Der österreichische Dichter Ferdinand Schmatz gilt seit seinen ersten Gedichtbänden Anfang der achtziger Jahre als modifizierter Erbe der Wiener Gruppe um Gerhard Rühm, H.C. Artmann, Konrad Bayer, Friedrich Achleitner und Oswald Wiener. Er habe die Verfahren, mit denen die Wiener Gruppe ihre unverwechselbare Rolle in der österreichischen Literatur einnahm, verfeinert und ihre asketischen Gedichtstrukturen in seiner Dichtung noch asketischer werden lassen, heißt es über ihn.Bauen am Sprachturm zu Babel (FR, 03.11.04)

wir fragen uns: was ist ein „modifizierter erbe“? -> wir verweisen dann schlicht auf den schoenen begriff. den priessnitz/rausch fuer die experimentelle literatur nach der wiener gruppe gepraegt haben: postexperimentelle literatur (priessnitz/rausch: tribut an die tradition. aspekte einer postexperimentellen literatur).

wiener gruppe :: auslegeware

bov machts moeglich: die wiener gruppe mal ganz anziehend (wir empfehlen besonders die wiener gruppe zeitung (pdf) – was sich heute alles „zeitung“ schimpft und was frauen so alles nicht anhaben in zeitungen). wir sagen nur: weiss eh keiner mehr. wer die wiener gruppe wirklich war! oder wer kann uns denn noch die mitglieder nennen. ohne den entsprechenden suchmaschinentango auszufuehren?

eine volkskuenstlerin! :: k. rutschky meint das

sicherlich war die baroness in ihrer zeit keine „unbekannte“. dazu wusste sie sich expressiv einzubringen in der partiellen oeffentlichkeit. die einer kuensterlin in avantgarde-kreisen zur verfuegung stand. dennoch von einer wirklichen „bekanntheit“ zu sprechen. ist uebertrieben und der „schraegen“ rolle und funktion der baroness in ihrer zeit auch unangemessen. von ein paar veroeffentlichungen ihrer texte in zeitschriften abgesehen, bleiben vor allem ihre „inszenatorischen“, leibhaftigen kunst/leben aktionen im vordergrund.

wenn katharina rutschky in ihrer rezension unbeeintraechtigt von geistiger gesundheit (frankfurter rundschau) zu grammels biographie wiederum auf den „verrueckten“ geisteszustand der baroness abhebt und mangel an geist und werk der baroness dann negativ kurzschliesst. dann sind wir wieder dort. wo die rezeption von kuensterlinnen in der avantgarde immer stehenbleibt: entweder waren sie sexuell „abartig“ oder geistig zurueckgeblieben. Weiterlesen „eine volkskuenstlerin! :: k. rutschky meint das“

Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven

der ihr eigentlich gebuehrt. so wurde sie zwar immer schon als „mutter des new york dada“ bezeichnet, was aber irgendwie nach weiblicher rollenzuteilung klingt – und das tut es auch. in der rezension „Die Mutter von New York Dada Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven“ (NZZ) von juergen braeunlein wird zwar versucht. von baroness elsa ein einigermassen interessantes profil zu erstellen. sie entkommt jedoch nicht den geschlechtsspezifischen zuweisungen. die fast alle dada- und avantgardekuenstlerinnen erfahren haben.

in the historicizing and mythologoizing trajectory of the Dada logos, several „origins of the word“ implicate female gendering in which the signification of the female is ultimately a „wet-nurse“ whose primary biological and aestetic functions are as the male artists‘ muse.

sawelson-gorse, naomi (hg.): women in dada. MIT 1998, vorwort

die rezeption von baroness elsa ist zum einen um den „musen“-begriff situiert (vor allem gilt sie als muse des „erz-dadaisten“ duchamp, dabei ist es durchaus umgekehrt richtig). obwohl sie – wie braunlein richtig anmerkt – die einzige frau neben hannah hoech ist. die als dadaistin heute noch rezipiert wird. ist diese einordnung mit einem kanonisierten vorzeichen zu versehen. der kanon von dadaistinnen war und ist schmal besetzt (da haben auch sammelbaende wenig geaendert).

dass braeunlein jedoch das bild der muse als „getriebene der libido“ bedient. passt dann leider nur zu gut in das kanonisierte bild von avantgarde-kuenstlerinnen (vgl. die rezeption von mina loy). durch wenige publikationen wird mittlerweile der innovative und performative (gender-)aspekt von dadaistischen aktionistinnen betont (schliesslich ist ja auch duchamps transgendering nicht zu uebersehen).

Um die aeussersten Grenzen von Avantgarde-Performance zu finden, muessen wir nicht nach vorne, sondern zurueckschauen. Wenn es um bahnbrechende Kunst und um das Spiel mit den Geschlechtern geht, finden heutige Kuenstler kein gewagteres Beispiel als die lange vergessene Baroness Elsa. (Marina Abramovic)

bei baroness elsa kommt hinzu. dass sie durch ihre durchaus sexuell konnotierten aktionen als „verrueckt“ deklariert wurde (heute wuerde man das punk nennen). es mag so sein. dass sie einen gewissen „hang“ zur verrueckung von realien hatte. aber als erklaerungsmuster fuer kuenstlerinnen ist der diskurs der „verruecktheit“ nur zu bekannt (vgl. dazu etwa die sammelbaende „wahnsinnsfrauen“. in denen dieser diskurs nicht unter einem individualisierenden. sondern ideologiekritischen standpunkt verhandelt wird, etwa „der wahnsinn als reaktion auf patriarchalische strukturen“). Weiterlesen „Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven“

heimrad bäcker :: nachschriften

heimrad baecker ist letzten donnerstag verstorben (der standard war sich nicht ganz sicher. ob fast oder doch 78 jaehrig). was die schubladisierung betrifft. wird er der „konkreten poesie“ zugeordnet, war mitbegruender der grazer autorenversammlung (was heisst – er war ein nachstreiter der „wiener gruppe“) und verleger der „edition neue texte (1975)“ (vormals literaturzeitschrift „neue texte (1968)) – der „bedeutendste oesterreichische Avantgarde-Verlag der spaeten siebziger und fruehen achtziger Jahre“ lt. NZZ), der vor allem die „nachstreiter“ franz josef czernin, mayroecker, priessnitz verlegt hat.

  • haupttext: „nachschrift“ (2 baende): „Baecker lud sich den obszoen ausgenuechterten Jargon der Taeter, das Vernichtungsrotwelsch der mit der so genannten „Endloesung“ befassten Planungsmoerder und Genozidbeitraeger, wie eine lebenslange Buerde auf.“ (Die Entlarvung der Todeslistenfuehrer – Standard)
  • baeckers engagement fuer die sprachliche aufarbeitung des NS scheint im experimentellen kanon ueberraschung auszuloesen bzw. wird experimentelle literatur wohl immer noch und wieder mit laessigem sprachklingeln verwechselt:
    # „Die Literatur wollte Baecker nie zu einer Harmonisierung des Unverstaendlichen missbraucht sehen“ (NZZ)
    # „Sein souveraener Umgang mit den Moeglichkeiten der Konkreten Poesie haette ihm eine auskoemmliche Autorenkarriere fuer Experimentellen-Liebhaber ermoeglicht.“ (Standard) – hier wird karriere im experimentellen bereich an konkrete poesie gekoppelt (souveraenitaet macht’s wohl?!))
  • zum peinlichsten in nachrufen sind dann folgende unter- und ausstellende resuemes zu rechnen: „Ganz gewiss hat sich der aus Ried/Innkreis stammende Baecker seine Teilhabe als HJ-Junge und „Schriftleiter in Ausbildung“ am grossen, moerderischen Ganzen nie verziehen.“ (Standard) (aehnliches findet sich in einem weiteren nachruf des standards: „als Jugendlicher selbst von der NS-Ideologie „infiziert““)
  • thomas eder sieht in baecker die verbindung zwischen „formal autonomer“ und „politisch orientierter“ kunst (also: hier wieder die trennung von „reiner“ experimenteller und „politisch-experimenteller“ literatur – eine verbindung laesst sich hier zum aktuellen lyrikrevival ziehen, das vor allem den bezug der lyrik auf die deutsche geschichte fordert, s. „Die neue Unersetzlichkeit der Lyrik“ joerg drews im merkur, zit. nach „Ist die Lyrik noch poetisch?“ – lutz hagestedt)
  • in die gleiche argumentative kerbe schlaegt ferdinand schmatz. baecker haette „die konkrete Poesie vom Verdacht des Apolitischen befreit“ (der verdacht erhaertet sich. dass es hierbei nicht um heimrad baecker geht. sondern um die rolle der experimentellen literatur)
  • an dieser fragestellung formal/konkret schliesst sich fast uebergangslos das projekt „Konkrete Dichtung und Mimesis anhand des Werkes von Heimrad Baecker“ (kastberger/eder) des oesterreichischen literaturarchivs: nach siegfried j. schmidt schliesse sich konkrete poesie und „mimesis“ vollstaendig aus; konkrete poesie sei eine „nicht-mimetische“ kunst, die sich auf die thematisierung der kuenstlerischen mitteln konzentriere. kastberger/eder gehen aber davon aus. dass sich durch die arbeiten von baecker durchaus eine verbindung zum mimetischen herstellen lasse.
  • dagmar winkler ordnet autorinnen wie gerstl, baecker, schmatz, hell, czernin als „fortsetzerinnen der wiener gruppe“ ein, als “ zerebrale Aesthetizisten„, deren „Literatur nicht mehr der post-modernen, post-traditionellen, post-sozialen, post-avantgarde, kybernetischen Aera angehoert, sondern eine ’neo-kybernetische‘ Epoche einleitet.“ (Die neo-kybernetische Literatur)
  • als richtungsweisend war fuer baecker heissenbuettels „Deutschland 1944“: „Dieses „Gedicht“ bezeichnet er als „wegweisend“ fuer die Poetik der „nachschrift“, weil Heissenbuettel als erster gezeigt habe, wie „die Moerdersprache, die Tarnsprache und Sprache der ‚Vertauschung‘, durch Zitieren aufgeloest werden koenne“ (Baecker).“ (Das Archiv der Grausamkeit – wiener zeitung – dieser artikel geht ausfuehrlicher auf die „nachschrift“ baeckers ein)
  • thomas eder: „ob der mann danach ist“ (benn) – holocaust sei fuer baecker nicht ein „einmaliger einbruch in die zivilisation“. sondern erst die mittel der moderne haetten wesentlich zur durchfuehrung beigetragen. (verschleierung mit mitteln der konkreten poesie „hoechste evidenz“ verschaffen) (thomas eder, rede zur ausstellung „Heimrad Baecker“, linz)
  • aus dem erloes des“vorlasses“ baeckers, den das literaturarchiv der nationalbibliothek angekauft hat, wurde ein „heimrad-baecker-literaturpreis“ ausgerichtet. erste preistraeger 2003: czernin und zauner (foerderpreis) (die summen verkneifen wir uns an dieser stelle).

aber womoeglich sollte man nachrufe lieber gleich in das oesterreichische staatsarchiv bugsieren. dort werden sie dann sorgsam verwahrt und aufgehoben.

psychogeographisches geplaenkel >>

– oh – bei dieser geschwindigkeit naehern wir uns gerade noch dem schluerfen japanischer nudeln an! was sie selten japaner fragen…

– „Your prof was right. The color of the ‚ao‘ traffic light is between blue and green. I had read about this and didn’t really understand it until I started living in Japan. Curious, I got a book about colors and found out that colors are divided into several classifications including primary, secondary and tertiary. What is known as ‚ao‘ in Japanese was classified by this book as being a tertiary green-blue or in other words mix of pure blue and pure green. I don’t know why that would make it tertiary but that isn’t the issue. The point is that the colors in question are objectively different. “ (das kanji lernforum)

– wichtig eigentlich nur fuer leserinnen – vor allem starterinnen – von mangas/animes: erklaerungen der einzelnen nonverbalen gesichtszuege der protagonistinnen….

– sich staedte psychogeographisch aneignen – das kennen wir aus konzepten der situationisten. mit diversen techniken wird das heute weitaus ausgefeilter betrieben: Psy-Geo-Conflux 2003 – experimental walks, human street chess, hacked maps…sehr interessant auch: New York Body ’n‘ Soul Map – fuer diese kartendarstellung werden die individuellen routen der new yorker als masstab verwendet…

– alles ueber hochhaeuser und raumschiffe aus science fiction filmen; wir habens ja nicht so mit der mathematik – dem ohrring der wissenschaften – aber wir finden es trotzdem interessant, dass mal mercators globen projektion genau unter die lupe genommen wird.

– wir wollten ja schon immer wissen. wie die graphische repraesentation unsere interaktionen in foren/mailinglisten aussehen kann: People Garden stellt das in der demo ein wenig so dar: eine farfalle insel mit leinenzwang – aber sieht interessant aus. 😉 fuer noch groessere konversations gruppierungen laesst sich diese wackel-studie begutachten: Conversation Map – als beispiel werden diskussionen aus newsgroups herangezogen…

(dies alles praesentierte ihnen muxway)

wie wuerde in 100 jahren programmiert? „Now we have two ideas that, if you combine them, suggest interesting possibilities: (1) the hundred-year language could, in principle, be designed today, and (2) such a language, if it existed, might be good to program in today. “ (via Blog-Fu)

– at the end a leading link :: ein wirklich aussergewoehnlicher blog // Giornale Nouvo

a bagel is a fountain >> avantgarde leicht gemacht!

„So, aside from one being profit oriented and the other not, what’s the difference between Finagle-A-Bagel’s surprises and Marcel Duchamp’s Fountain? Both shake up the complacency of expectations; both begin unannounced, instead waiting to be discovered and interpreted (Fountain was originally displayed in cabarets and clubs as an unexplained object, not in galleries); both, though beginning as unexpected pleasure, become commodified and profit-oriented, whether by drawing repeat business or by drawing museum patrons. Neither is a ‚true‘ avant garde project, because as Burger argues there’s no such thing: the New is always coopted into the commoditized. So why can’t Finagle’s marketing object, like Duchamp’s, be interpreted as a flawed project in avant garde marketing (flawed as avant garde that is, successful as marketing, just as Fountain is now that it stands in museums)?“

(fundstelle: onepotmeal)