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Internet: Personality außerhalb des Ateliers

Jan Schmidts Interview in der 3sat Kulturzeit ist von schmalem Zuschnitt, gewichtige Fragen werden zu kurz angerissen und damit abgerissen. Moderator Scobel fällt zum sozialen Web nur Unsicherheit, Stalker und Kindesmissbrauch ein, alles Neue ist ja bekanntlich vorerst deviant und entfremdet sich vom Material/Körper – Geist war ja immer schon suspekt (irgendwie).

Jan Schmidt führt aber ganz richtig eine Verschiebung in Dingen der Privatheit und Körperlichkeit an: vor Jahren war es noch normal ein Handle in Foren zu benutzen, seine Identität zu verschleiern, verschiedene Identitäten je nach Kontext zu nutzen und auf seinen Seiten gerade mal ein halbes Impressum zu setzen (was ja auch erst eine Sache der letzten Zeit ist, weil sich die Gesetzeslage dahingehend geändert hat).

Tatsächlich ist heute eine starke Tendenz da, seine Daten/Identität öffentlich zu machen, unbefangener mit sich online umzugehen (und damit meine ich nicht, seinen Alltag auszustellen). Liegt es an der Gewöhnung ans Medium/Virtualität? Liegt es an den prekären Lebensläufen, die gelernt haben, sich online immer und überall zu stabilisieren?

Man könnte mit Walter Benjamin folgern, dass es auch im Internet ein Befremden des Darstellers vor der Apparatur (Benjamin, Kunstwerkaufsatz) gibt. Letztlich hat der Internetnutzer, der Weblogbetreiber, der Homepagemacher erkannt, dass hinter der Apparatur (Software, Weblog, Homepage) das Publikum lauert, der Abnehmer, der Markt. Wie der Filmdarsteller vor dem Spiegel der Kamera für den gesellschaftlichen Laufsteg übt, sich dar- und ausstellt, übt der Internetnutzer für den Ernstfall: irgendeine Personality außerhalb des Ateliers (Benjamin, Kunstwerkaufsatz) läßt sich sicherlich aus jedem machen, schliesslich kann jeder heutige Mensch auch einen Anspruch vorbringen, gefilmt zu werden (Benjamin, Kunstwerkaufsatz), zitiert -, gebloggt -, getubt oder gefakt zu werden.

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2 Antworten auf “Internet: Personality außerhalb des Ateliers”

  1. […] Zum Interview von Jan Schmidt in der Kulturzeit habe ich ja bereits hier etwas geschrieben. Nachdem Serner auch wichtige Reflexionen dazu beigesteuert und mich unter der Hand darauf aufmerksam gemacht hat, gibt’s zum Sonntag diesmal wieder was vom Onkel Benji aus dem Kunstwerk-Aufsatz: […]

  2. […] 1. Jan Schmidt’s Beitrag in der Kulturzeit wurde von mir dahingehend kommentiert, dass man die vermeintliche Körperlichkeit einer face-to-face-Situation nicht mit Authentizität verwechseln darf. Die alten Biographiegeneratoren (Tagebuch, Brieffreundschaften, Gespräche mit der Natur) waren ja gerade durch Distanz gekennzeichnet. Moderne Medien – darauf verwies bereits Benjamin – sind hingegen geradezu körperlich, taktil, besitzen Geschoßcharakter und treffen den Beschauer chockhaft. Serner antwortete darauf mit diesen Überlegungen. Außerdem zeigen sich die Formate der social software hochgradig körperhaft, was den Inhalt und die Aufmachung betrifft. […]

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