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begriff des tages :: die futteralisierung des historischen

Walter Benjamin hat von der Sehnsucht des 19. Jahrhunderts nach dem „Futteral“ gesprochen, vom bürgerlichen Traum eines Lebens, das sich die Welt zum Interieur macht und gegen jede Irritation abzuschirmen sucht. Es artikuliert sich darin ein Wunsch nach Regression und Rückzug aus der Wirklichkeit, der sich harte soziale Tatsachen in schmuckes Kunsthandwerk und plüschige Darstellungen zurechtformt. Diese Sehnsucht nach Futteralisierung des Historischen spricht bei Jeunet aus jedem Bild – und es wird deutlich, dass das Fantastische bei ihm auch und gerade in seinen dunkleren Varianten nach diesen Futteraleffekten strebt. Was dem bürgerlichen 19. Jahrhundert die Chinoiserie, sind ihm und seinem Publikum – technisch ganz auf der Höhe der digitalisierten reproduktiven Künste – ein schöngelogenes Montmartre und der gänzlich entpolitisierte Erste Weltkrieg im nostalgischen Sepiaton. In Jeunets Futteralwelt wird jedes historische Faktum unterm Blick der Kamera auf der Stelle zum sorgsam eingepackten Museumsstück. Das Unbehaglichste daran ist gerade die Behaglichkeit, die sich beim Betrachten einstellt. Der Krieg dringt in eine solche Welt nicht als Schock, sondern als Spektakel, das die Erzählerstimme beruhigend ins Register des Schnurrigen überführt.gute stube schuetzengraben (TAZ, 26.01.05 – mit bestem dank an erratika!)

wir moechten dazu nicht wirklich salopp ergaenzen. dass das auch schon bei amelie so war. ein film. der ein paris zeigt. das einer bunten. huebschen glaskugel gleich alles schoen stimmig unterfuttert – oder auch die zuseherin einbuttert. so laesst sich paris schoen ins touristisch eingemachte stellen. vielleicht sollte man jeunets fruehen film „delicatessen“ auch noch unter diesem blickwinkel betrachten. was uns zugegebenermassen schwerer fallen wuerde. aber ein interessanter ansatz.

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